Bernd Neugebauer: Referat zu Alan Turing: "Kann eine Maschine denken?"

Abschnitt 1

 

"Ich arbeite gerne mit Menschen."
HAL 9000

Einleitung

Mitte März 1997 traf sich die Forscherelite aus dem Bereich Künstliche Intelligenz (KI) in Chicago, um die Inbetriebnahme ihres bekanntesten Produktes am 12. Januar zu begehen. Der neue Computer kann in menschlicher Sprache mit den Anwendern kommunizieren, exzellent Schach spielen und ist so intelligent, daß ihm und nicht den beteiligten Astronauten die Verantwortung für die erste Jupiter-Mission übertragen werden soll. Problem der Party: die anwesenden Forscher waren echt, das Geburtstagskind nur fiktiv. Gefeiert wurde HAL 9000 , der Bordcomputer des Raumschiffs Discovery aus Stanley Kubricks 2001-Odyssee im Weltraum . Und in der näheren Zukunft wird wohl weiterhin HAL den Anlaß zu der derartigen Festivitäten abgeben müssen, denn es sieht nicht so aus, als könne bald ein Computer gebaut werden, der auch nur annähernd seine Fähigkeiten besitzt.

HAL 9000 ist das Produkt des Optimismus, der Ende der 60er Jahre die KI-Forschung beherrschte. Diesen Optimismus über die Möglichkeit denkender Maschinen formulierte zuerst Alan Turing 1950 in Computing Machinery and Intelligence . Der Text ist grundlegend für die KI-Forschung und die dort ausgebreiteten Gedanken beeinflußten die Darstellung vieler Computer und Androiden aus Literatur und Film: Neben HAL 9000 sind Mr.Data ( Star Trek: The Next Generation ), R2-D2 und C3-PO ( Star Wars ), die Androiden aus Blade Runner und Stanislaw Lems Golem bekannte fiktionale Maschinen, deren kybernetische Intelligenz sie zu wichtigen Handlungsträgern der jeweiligen Geschichten macht.

Um die Funktion menschlicher Charaktere in Romanen zu verstehen, bedient sich die Literaturwissenschaft u.a. der Psychoanalyse, bei ,maschinellen Personen` empfiehlt sich eher der Rückgriff auf die Computerwissenschaft. Zumindest, wenn sie in einer Literatur, die für sich beansprucht, den aktuellen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis zu reflektieren, ihren Auftritt haben. Von den oben angeführten Beispielen gilt dies sicher für die Geschöpfe von Stanislaw Lem und dem 2001-Autorenduo Kubrick/Clarke.

In diesem Referat sollen die Grundzüge von Turings Argumentation dargestellt wobei zugunsten des grundlegenden Verständnisses auf einige Details verzichtet wird und überprüft werden, wieweit Turings Prognosen eingetreten sind. Vor dem so entworfenen Hintergrund wird ein kritischer Blick auf seine Beweis- oder eher: Indizienführung geworfen und die Möglichkeit denkender Maschinen aus der Perspektive der Internet-Ära noch einmal andiskutiert. Die Diskussion bleibt notwendigerweise spekulativ. Nicht nur, weil der Autor dieses Textes kein KI-Experte ist, sondern weil auch fast 50 Jahre nach der Publikation von Turings Arbeit viele Fragen, die sie aufwirft, nicht sicher zu beantworten sind. Es wäre zu einfach einzuwenden, Turings Vermutungen hätten sich nicht bestätigt seine Leistung zeigt sich darin, daß viele Argumente immer noch nicht widerlegt, sondern diesen Argumenten nur verfeinerte Spekulationen entgegnet werden können.

Umformulierung der Frage "Können Maschinen denken?"

In dem 1950 in der Zeitschrift Mind publizierten ,populärphilosophischen` Artikel Computing Machinery and Intelligence versucht Alan Turing die Frage: "Kann eine Maschine denken"1 (so auch der Titel der 1968 erschienenen deutschen Ausgabe) zu beantworten. Die Frage bedingt eine Definition der Begriffe ,Maschine` und ,Denken`; ein Unterfangen das nahezu aussichtslos erscheint, da auch über zwei Jahrtausende nach Platon im philosophischen Diskurs Uneinigkeit über die richtige Bestimmung der Kategorien Vernunft, Denken oder Geist herrscht.

Turing ersetzt das ursprüngliche letztlich ontologische Problem, durch eine nach seiner Ansicht äquivalente phänomenologische Fragestellung, die in der Diskussion über Künstliche Intelligenz später als Turing-Test2 bekannt wurde.3

Die Äquivalenz des Turing-Tests zur Ausgangsfrage stellt dabei das größte Problem des Textes und eine der umstrittensten Fragen des gesamten KI-Diskurses dar.

Turing-Startseite

zurück | weiter

©1997 Bernd Neugebauer